Wozu Israel
zum Yom Ha’atzmaut 2004
von Dr. Eli E. Lasch
Als 1945 die Kanonen
schwiegen, atmete die Welt auf. Die Hölle war vorbei. Für
uns, die wir in Israel lebten, fing sie aber erst an. Die
Palästinenser sagen, dass für sie damals die Katastrophe,
die „Naqba“ anfing. Für uns war es das Aufsammeln der
Scherben der grössten Katastrophe, die das jüdische Volk je
durchgemacht hat. Zugleich verloren wir die letzten Reste
des Vertrauens, das wir gegenüber der nichtjüdischen Welt
noch übrig hatten. Nicht nur, dass wir mit den Überresten,
man könnte sogar sagen mit den Ruinen unseres Volkes
konfrontiert wurden. Wir erfuhren auch, dass die Allierten,
unsere „Verbündeten“ im Kampf gegen den Nationalsozialismus,
alle Einzelheiten über die Vernichtungslager gewusst hatten
und trotzdem nicht bereit gewesen waren, die Gleise, die
dort hinführten, zu bombardieren: „Das gehört nicht zum
Programm unserer Kriegsführung, und möglicherweise würden
die Deutschen so erfahren, dass wir ihren Code geknackt
haben.“ Wir hingegen hatten das Gefühl, dass die Anführer
der sogenannten demokratischen Welt sich im Stillen die
Hände rieben und zufrieden waren, dass jemand für sie die
Schmutzarbeit der Ausrottung der Juden übernommen hatte.
Es wurde uns immer klarer,
dass England, das sich eine Generation zuvor als unser
Freund und Verbündeter ausgegeben hatte, uns betrogen
hatte. Es hatte 1922 das Mandat über Palästina mit der
ausdrücklichen Verpflichtung erhalten in Palästina eine
Heimstätte für das jüdische Volk zu schaffen. Stattdessen
schlossen die Briten unter arabischem Druck die Küsten
Palästinas. Wenn sie ihren Verpflichtungen nachgekommen
wären, hätte man möglicherweise Hunderttausende retten
können. Und nach dem Krieg führten sie ihre Politik weiter.
Europa ist zum grössten
Friedhof des jüdischen Volkes in der Welt geworden und die
wenigen Überlebenden der Lager wollten nur eins: Weg von der
Vergangenheit, weg von Europa! Für sie gab es nur ein Ziel:
eine Heimat, ein Land, in dem sie nicht mehr wehrlos der
Willkür der Völker der Welt ausgesetzt waren. Und diese
Heimat war für die Juden seit jeher das Land, das die Römer
Palästina genannt hatten. Für uns war es immer Erez Israel.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Obwohl die Juden
Palästinas während des Krieges treue Verbündete der
Engländer waren, während die Araber alles taten um die
englischen Kriegsbemühungen zu unterminieren, führten die
Engländer ihre Vorkriegspolitik weiter, als ob nichts
geschehen wäre. Sie waren sogar so unmenschlich, dass sie
ihre Kriegsflotte einsetzten, um die Flüchtlinge, die in so
genannten Nussschalen das Mittelmeer überquerten, abzufangen
und auf Zypern erneut in Lagern zu internieren – als ob sie
nicht genug in Lagern gelitten hätten. Innerhalb des
Mandatsgebietes von Palästina taten sie alles um die
jüdische Bevölkerung wehrlos den Arabern auszusetzen. Im
Sommer 1945führten sie sogar eine grosse Aktion durch, um
alle versteckten Waffen der jüdischen Untergrundarmee, der
Haganah, zu entdecken und zu beschlagnahmen.
So wurden die Engländer zu
unseren Feinden. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges
befanden sich in Palästina 100.000 englische Soldaten, nur
um den jüdischen Widerstand zu brechen. Das
Resultat: Es bildeten sich Terrorgruppen, die letztendlich
eine wichtige Rolle bei ihrer Vertreibung spielten. Der
Befehlshaber einer dieser Gruppen war Menachem Begin, der
andere Jizchak Shamir, beide wurden später zu
Premierministern Israels. Begin war sogar derjenige, der den
Frieden mit Ägypten schloss und den ganzen Sinai zurückgab.
Zu der Zeit wurde uns auch
klar, dass die Juden nur in einem eigenen Staat eine Chance
zu überleben haben und dass dieser Staat nur dann
überlebensfähig ist, wenn er in der historischen Heimat
entsteht. Wir wussten auch genau, dass die arabische Welt
dem nie zustimmen würde. Trotzdem wir von einer riesigen
arabischen Übermacht umgeben waren, (600.000 gegenüber 300
Millionen), hatten wir nie einen Zweifel an unserem
endgültigen Sieg. Wir hatten nämlich eine „Geheimwaffe“ und
die hiess „Ejn Brerah“ – Wir haben keine Wahl. Wir wussten,
dass wir siegen mussten um zu überleben. Aus unserer
Erfahrung mit arabischen Freischärlern wussten wir, was uns
im Falle einer Niederlage erwartet. Während in Europa
Massaker und Auslöschen der zivilen Bevölkerung die Ausnahme
war, war es genau das, was wir zu erwarten hatten. Man
spricht heute viel von dem Verjagen der Palästinenser durch
die Israelis im Jahre 1948. Wir hatten noch viel Schlimmeres
zu erwarten: Vielen der heutigen Flüchtlinge wurde von den
arabischen Armeen versprochen, dass sie nach ihrem Sieg in
die „schönen Häuser der Juden“ einziehen könnten.(!) Auch
Verstümmelung von jüdischen Verwundeten, die in die Hände
von Arabern gefallen waren, war Gang und Gäbe. Es ist
interessant, dass sich seitdem nicht viel geändert hat und
dass sich in der „Berliner Morgenpost“ vom 1. April 2004
eine Überschrift befindet „Mob im Irak schändet tote
Ausländer“. Im Artikel selbst wird berichtet, wie die
Leichen von vier Ausländern brutal verstümmelt und
geschändet wurden. Hier handelte es sich sogar um
Zivilisten, die in einer Hilfsaktion unterwegs waren. Das
war der Grund dafür, dass wir, wenn es nur möglich war,
keine Verwundeten zurückliessen und wenn es nicht anders
ging, ihnen entsicherte Handgranaten in die Hand drückten.
Rückblickend erinnere ich
mich, dass wir so etwas wie Angst nicht kannten. Auch heute,
über 50 Jahre später, kann ich mich noch an das Gefühl des
Stolzes erinnern, als ich zum ersten Mal mit einer legalen
Waffe in die Öffentlichkeit trat. Eine Waffe, die mir
niemand wegnehmen konnte und mit der ich, der Jude, zum
ersten Mal in 2000 Jahren mein eigenes Volk verteidigen
konnte.
Das erste Kommando, das ich
nach Gründung des Staates übernommen hatte, bestand aus
einer Gruppe von Männern, die aus sieben verschiedenen
Ländern kamen, aber genau dieselbe Einstellung hatten wie
ich. Wie lehrt man solche Menschen mit Waffen umzugehen? Ich
sprach einen Befehl erst in Hebräisch, dann in Deutsch und
dann in Französisch aus und der wurde dann weitergegeben auf
Russisch, Ungarisch und Rumänisch. Aber wir verstanden uns.
Und nach einer Woche wurden wir an die Front geschickt, wo
sie sich gut bewährten. Alle bis auf einen. Beim Liegen
benutzte er meine Beine als Bollwerk und schoss mir über den
Kopf hinweg. Später erfuhr ich, dass drei von ihnen
Offiziere in der Roten Armee gewesen waren und von Waffen
und Krieg sehr viel mehr verstanden als ich. Sie haben es
sich aber nicht anmerken lassen. Von diesem Zeitpunkt an war
mein Feind nicht mehr die Engländer, sondern die Araber.
Nach dem Teilungsbeschluss der UNO hatten wir endlich einen
eigenen Staat und den wollte uns die arabische Welt mit
Waffengewalt wieder wegnehmen. Es handelte sich nicht mehr
um einen Kampf mit arabischen Freischärlern, sondern um
einen Krieg mit den regulären Armeen von fünf arabischen
Ländern.
Im Grunde hat sich seit damals
nicht viel verändert. Wenn die arabischen Länder bereit
wären die Existenz Israels zu akzeptieren und einzusehen,
dass die Zerstörung Israels, die ihnen vor 50 Jahren nicht
gelungen ist, auch in Zukunft scheitern wird, würde es in
kürzester Zeit Frieden geben. Nach meinen Gesprächen mit
vielen Arabern handelt es sich auch nicht um die Rückkehr zu
den Grenzen von 1967, denn in diesen Grenzen hätte ein
palästinensischer Staat schon vor 1967 entstehen können. Es
handelt sich darum, dass Israel in ihren Augen ein
Fremdkörper ist, dessen Existenz sie nicht bereit sind zu
dulden. Sie sind nicht bereit anzunehmen, dass Israel anders
ist als die Kreuzritter, dass für die Juden der Staat Israel
kein vorübergehendes Phänomen ist sondern das Ende dessen,
was sie, meine Vorväter, die „schwarze Nacht der Diaspora“
nannten. Wenn die Araber das einsähen, würden sie die
Flüchtlinge integrieren und so die Naqba zu einem Ende
bringen.
Bin ich ein Pessimist? Ich
glaube nicht. Ich sehe mich eher als Realist und vielleicht
Visionär und würde gerne diesen Artikel mit den Worten von
Ben Gurion beenden: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein
Realist.“
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